"49 Arlington Gardens" article
Der Uhrenmacher und seine zärtlichen Cousinen
Prachtvoll: Nach 40 Jahren hat der große Hippie-Melancholiker Nick Garrie ein neues Album aufgenommen
VON CHRISTIAN BUSS
I m Jahr 1969 schwirrte Nick Garrie mit seiner Wandergitarre zwischen St. Tropez und Paris umher. Konnte es für einen Briten mit Vorliebe für feine Stoffe und französische Dichter eine größere Erfüllung geben? Zumal auch noch sein erstes
Album erscheinen sollte. Doch Garries Karriere endete, bevor sie überhaupt begonnen hatte: Die für ihn zuständige Mitarbeiterin der exquisitez französischen Plattenfirma DiscAZ, bei der eine Zeit lang auch Brigitte Bardot unter Vertrag stand, nahm sich ein paar Tage, bevor das Werk erschien, das Leben. Die Platte wurde nicht beworben, der zuvor so hoch gehandelte junge Songwriter konnte sich nach einem anderen Broterwerb umsehen.
Kein Problem. Unter anderem war Garrie Leiter einer Skischule, Ballonbauer und Gesamtschullehrer; man merkt, er nimmt die Dinge nicht so schwer. Meist lebte der Brite, Sohn eines russischen Vaters und einer schottischen Mutter, für die Jobs in sehr schönen Regionen Europas, zum Beispiel in der Schweiz und in Portugal, in Amsterdam und an der Cote d’Azur. Er nahm noch ein paar Platten als Nick Hamilton auf, was sich auf den Mädchennamen seiner Mutter bezog, aber ein bisschen nach Softpornodarsteller klingt. In Spanien glückte dem Euroboy auf diese Weise immerhin ein Nummer-Eins-Hit. An Nick Hamilton erinnert sich heute trotzdem niemand mehr.
Der Name Nick Garrie aber avancierte über die Jahrzehnte zu einer bedeutungsvoll gewisperten Glücksformel bei Anhängern von prachtvoll arrangierter Popmusik. „The Nightmare of J.B. Stanislas”, das mit 56-köpfigem Orchester eingespielte Erstlingswerk, dessen kleine Auflage so lange im Lager
von DiscAZ verstaubte, wurde zum begehrten Sammlerstück. Bis zu 1200 Euro wird für das Original inzwischen auf einschlägigen Börsen geboten. Auf dem stetig zirkulierenden Meisterwerk kombinierte Garrie barocken Pop im Stile von Scott Walker und The Left Banke mit feinen Folkmelodien.
Ein halbes Menschenleben später nun schließt Nick Garrie an den historischen Moment von 1969 an. Aber nicht etwa im sonnigen St. Tropez oder im portugiesischen Villafranca küsste ihn diesmal die Muse, sondern im trüben Schottland. Denn animiert wurde er von den Popconnaisseuren um den Glas-gower Teenage Fanclub, die zwei Jahre zuvor ja auch schon den Psychedelia-Folkie Kevin Ayers aus Südfrankreich weggelockt und ihm zu einem strahlenden ComebackAlbum verholfen hatten.
„49 Arlington Gardens“, so der Titel des neuen Garrie-Werks, ist nun ein echter Glücksfall für Leute, die an die zeitlose Kraft großer Popmusik glauben. 30 knappe Minuten nach 40 Jahren, das mag erstmal nach einer mickrigen
Quote klingen. Doch die zehn Stücke beweisen, wie man vier Dekaden ohne allzu nennenswerte pop-kulturelle Produktionsleistungen verbringen und das Leben doch individuell als unendlichen Bereicherungsprozess genießen kann.
Allein der Song „Lovers“: Den hat Garrie schon vor etwas längerer Zeit mal mit dem französischen Filmkomponisten Francis Lai geschrieben, der Kinoromanzen wie „Love Story“ oder Erotikdramoletten wie „Bilitis“ ihren Sound gab. Die Lieben, so suggeriert das mild gehauchte Lied, kommen und gehen, am Ende aber summiert sich alles in der Erinnerung zu einem großen Film.
So viel Glück diese Platte verstrahlt, so wenig Bombast liegt in ihrem Arrangement. Nick Garrie klingt so, wie es heute vielleicht der legendäre Bruder im Geiste Nick Drake tun würde, wenn der nicht depressiv gewesen und 1974
an einer Überdosis Psychopharmaka gestorben wäre. Gerries Falsett ist leicht angeraut, nimmt aber immer noch mit spielerischer Leichtigkeit diewundersamsten Harmoniewendungen. Auf diese Weise gelingt es dem Künstler sogar, Gedichte von seinem Idol Guillaume Apollinaire zu vertonen, so wie er es mit dem Beitrag „Le Pont Mirabeau“ tut. Im Hintergrund jubilieren derweil Norman Blake vom Teenage Fanclub, Ally Kerr von den BMX Bandits und andere schottische Semi-Stars.
Der schönste Begleitgesang stammt indes von einem Kinderchor, der dem alten Meister am Schluss zur Seite steht: „The Clockmaker“ ist das letzte Stück betitelt, und Garrie schlüpft darin in die Rolle eines Uhrenmachers, der kaum
noch sehen kann, doch immer noch die präzisesten Zahnwerke herstellt. Will bloß niemand mehr kaufen, diese Geräte. Wie eine dieser unkaputtbaren Uhren tickt offensichtlich auch Nick Garries Herz gegen alle Verwüstungen und Verwün-schungen des Lebens an. Für sein nächstes Meisterwerk sollte er sich
dann aber bitte nicht noch mal 40 Jahre Zeit lassen.
Nick Garrie: 49 Arlington Gardens
(Elefant/Alive)
Nick Garrie [Berliner Zeitung]
picture: Archivo Elefant